Samstag, 15. Juli 2006

fahrt

Und so sitzen wir schweigend ins eigene lächeln versunken und die räder schleifen den eisernen strang , ratatamm, ratatamm, es wiegt uns, trägt uns fort und hindurch durch die landschaften vor unserem fenster, unter bergen entlang und an wassern, mit wiesen, bäumen und würfeln aus stein und lehm und ziegel. und am himmel die selbe sonne, scheint auf alle gleich, wärmt und dörrt und fragt nicht nach sitte, ansehen und moral. so mag der rechtschaffene verhungern und der mutwillige dahinsegeln auf seiner yacht über türkisenem grund, das ist der sonne so gleichgültig wie den wolken, dem regen und dem wind, der die mühlen treibt und das meer peitscht, auf dass die schifflein darauf tanzen...

schon lange schauen wir uns nicht mehr an, da gehen schritte auf dem gang der schaffner fragt die reisenden nach dem billet . ich erschrecke, daran hatte ich nicht gedacht, ich hab ja nur den koffer mit den kleidern, manche davon ungewaschen, wohl auch faltig, aber an geld, daran war kein gedanke und der schaffner kommt näher und die fahrkarten bitte und danke und nachlösen und 2 mark, bitte sehr die dame, meine empfehlung, einen schönen tag noch die herrschaften und da geht sie auf die tür und herein schaut der mann mit der roten mütze, der jacke, blau, die knöpfe aus messing, schwarz die hose, mit goldenem streifen und stiefel schwer und blank – zug rauf zug runter... die fahrkarten bitte. und mein zufallsbegleiter zieht eine brieftasche aus dem jackett, daraus eine karte, reicht sie dem fordernden, der nimmt haltung an, wird beflissen, nickt, reicht das billet zurück, nickt wieder wünscht eine gute reise, die herrschaften und fragt noch, ob man nicht lieber in die erste klasse wechseln wolle, das compartement des herrn oberst sei frei, alles nach seinen wünschen. doch der so angesprochene nickt und schaut wortlos und klappt die augenlider, zieht die nase erst ein wenig nach rechts, dann nach links und schon ist er verschwunden, der schaffner, nur seine stimme wandert weiter die fahrkarten bitte, danke, schönen tag, gute reise und fort, die gänge entlang.

- würden sie mir die freude machen und mich in den speisewagen begleiten?
meine wangen werden warm, ja, ich spüre die leere in meinem bauch, schon seit stunden keine mahlzeit, nicht einmal ein stück obst oder ein plätzchen und auch kein wasser, keinen kaffee oder tee.
- das ist sehr freundlich von ihnen, aber ich habe keinen hunger.
- dann schauen sie mir wenigstens dabei zu. sagen sie ja, nehmen sie einen kaffee, lächeln sie, ich esse so ungern allein.
und schon hat er meine hand genommen, mich aufgestellt und zur tür geleitet.

wir sitzen im speisewagen während es draußen dämmert.
- sie haben kein billet, nicht wahr?
und wieder wird mir warm im gesicht, doch ich halte den blick.
- haben sie denn ein ziel?
nein schüttel ich meinen kopf,
- ich weiß nicht einmal, wohin dieser zug hier fährt.
- nach athen. aber einen pass haben sie sicher auch nicht?
- ich habe nichts, kein geld, keine papiere, alles was ich habe sind die kleider auf meinem leib und ein paar ungewaschene in meinem koffer.
- kummer mit dem bräutigam? oder doch eher dem herrn papa?

und da sprudelt es aus mir heraus, die geschichte mit rebecca, das sanatorium, die eltern, ohne hoffnung, die innere drangsal, die mich trieb, hin auf den bahnsteig und hinein in den ersten besten zug, abfahrbereit am bahnsteig, fort nur fort, immerzu, immer nur weiter, weg von all der erinnerung, den kopf fest geschüttelt, raus damit, raus mit den gedanken, dem hindernis meines werdens und dann schüttelt es mich und ein kellner tritt zu uns an den tisch, ein junger mensch kaum älter als ich mit augen groß und dunkel wie pflaumen, vollen lippen und einem kleinen bärtchen wie dieser schreckliche schauspieler willy birgel ihn trug oder neuerdings dieser amerikaner, clark gable, diese bleichen gesellen mit ihren zerfurchten stirnen und ohren, die bis nach arabien lauschen konnten. des kellner anblick jedoch erspart uns solch stirn und ohren.

- guten abend herr oberst. was darf isch ihnen bringen? er sagt tatsächlich „innen“ und „bringken“ und kappt dem „herr“ das „h“
- was empfehlen sie mir, yussuf?
- wir ‚aben ‚eute original türkisch kebab mit wunderbar duftende reis und köstlisch bohnen. dazu vielleischt ein rotwein, nischt zu schwer.
- oh, einen toten hammel könnte ich nicht ertragen, nicht heute abend. bring mir hühnchen in rahmsauce, dazu gern eine portion deines duftenden reis.
- keine gemüs?
- oh yussuf. dann eben bohnen. aber schwarze.
- und ein karaff rotwein mit deux verre. ein bezaubernd jung frau sie begleiten ce soir. sischer ihr fräulein tochter, n’est-ce pas?
- zwei gläser, von mir aus. aber lass diese dummen scherze...
mein begleiter gibt dem beflissen davon eilenden yussuf einen scherzhaften klaps auf den hintern und wendet sich dann wieder zu mir.
- sagen sie, ist ihnen kalt?
- ach, sie meinen mein kopftuch? nein, ich hab nur. ..
- so ist’s viel besser. tragen sie ihr haar immer so kurz. ist das jetzt modern in deutschland?
- eigentlich bin ich schweizerin. aber mein vater ist deutscher. und sie, sie sind dann offenbar kein deutscher?
- amerikaner.
die frisur scheint vergessen
- sie haben keinen akzent.
- nein, ich bin jude.
- das versteh ich nicht, ich dachte sie seien oberst. für welche armee arbeiten sie denn nun?
- schön, dass sie „arbeiten“ gesagt haben. oh ja, und verzeihn sie, ich hab mich ihnen noch gar nicht vorgestellt. breslauer. martin breslauer. bitte machen sie mir das vergnügen mich martin zu nennen.
- sie haben glück gehabt.
- nicht direkt. meine eltern sind bereits in den 20er jahren aus schlesien nach boston ausgewandert. ich bin erst dort geboren. doch zu hause wird deutsch gesprochen. die schwester meiner mutter hatte allerdings weniger glück. sie gilt immer noch als vermisst. es gibt keine dokumente. ihr letzter brief kam aus athen. seither reise ich immer wieder
yussuf kommt mit einem teller voller huhn mit reis und bohnen auf der einen hand zurück, auf der anderen balanciert er ein silbernes tablett mit einer karaffe und zwei gläsern.
- isch abe mir erlaubt, die wein bereits in die küsch zu decantieren. bordeaux von mouton rothschild, 1947 nischt zu kalt, ganz so wie sie ihn lieben, martin.
- sie beide kennen sich wohl gut?
natürlich war das eine dumme rede meinerseits, denn beide gingen so vertraut miteinander um, als wären sie seit langem befreundet. seltsam, ein oberst und ein kellner....
doch das huhn duftet aufdringlich in meine nase hinein, bohrt sich ein in meinen magen, lässt allen speichel in windeseile zusammenfließen. mein gegenüber muss es mir angesehen haben, denn er winkt yussuf noch einmal zurück
-bring der jungen dame noch einmal das gleiche
und mit „noch einmal die gleisch für die fräulein tochter“ bewegt sich yussuf hüftschwingend zurück in die küche. keine zwei minuten später steht ein huhn in einer rahmsauce auf einem teller schwimmend vor meiner nase und macht mich zum ersten mal seit langem wieder richtig glücklich.

noblesse horizontale

ein callgirl erinnert sich

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danke DIR NOCH MEHR
beeindruckend und toll geschrieben.......
roman libbertz (Gast) - 23. Feb, 15:48

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