Montag, 10. Juli 2006

flucht

Meine abreise verlief ebenso unspektakulär wie mein ankommen. auch wunderte ich mich über meine absolute teilnahmslosigkeit gegenüber den menschen und dingen, die mir während meines zweimonatigen aufenthaltes in der genesungsanstalt widerfuhren. einzig dr. brodesser schien wichtig und der gedanke an ihn ergoss sich in einem harten strahl der empörung über meinen leib. ich war dem manne zu diensten, er labte sich an mir, zwang mich in die lustqual nächtlichen schweigenmüssens und machte mich damit wund und gierig und entledigte sich dann meiner scheinbar ganz ohne grund.

da standen wir nun, mein koffer und ich, vor dem großen tor, eine fahle wintersonne als herold des nahenden frühlings, welcher meine knospen jedoch nicht zur blüte trieb sondern bloß verkümmern ließ. ein auto fuhr vor und spuckte mir meine mutter vor die füße. mir war kaum nach reden zu mute, doch zwang ich mich zu würdevoller haltung, lächelnd um eine sorglose seele bemüht. kissen reden nicht und tücher und kleider, über alles hatte ich mein leid geworfen, einfach abstreifen und wegwerfen und sein. später...

die fahrt schweigend, kilometer um kilometer, landschaften zogen vorbei, sichtbar aber nicht greifbar, begreifbar, antastbar, unantastbar. „du wirst einiges nachholen müssen, willst du dein abitur noch schaffen. vielleicht ist es besser, du wiederholst das jahr.“ ein jahr, das ist sonne, wind, regen, nebel, schnee, das heißt aufstehen, sitzen, zuhören, reden, schreiben und den geist füllen und das herz leeren und die zeit fressen und das leben rückt weiter, verliert sich oder ich mich in ihm...

zu hause rettete ich mich sogleich in mein zimmer. gab es ein entkommen oder sollte ich mein dasein weiterhin im aquarium der bürgerlichen gesellschaft fristen, an welchem sich die wohlgeratenen die nasen platt drückten, ihre finger nach mir reckten und voll wohligem abscheu „ekel“ oder „irrsinn“ rufend ihre zupassgekommene existenz rechtfertigten. nein!. und noch war mein koffer gepackt. die familie mit sich beschäftigt. lautlos schlüpfte ich hinaus, das gepäck mit fester hand geschultert, in der anderen hand ein paar stiefel, der winter lies nicht los, noch nicht, und wieder hieß es still, kein geräusch und unruhe kroch mir in den leib und hetzte den atem, machte schwindel und lust. nur noch ein schritt, hin zur tür, und bleib doch still und hinaus durch den wirtschaftraum und flink in die garage. herum, hinten, nur herum, und sei doch still du liebes herz und renn mir nicht davon. die straße herauf, schlendernd, niemand weiß, soll ahnen, nur weiter zum bahnhof und laut klopft das herz und treibt den schritt und der schritt treibt das herz. da ist er schon, der rettende steig und wenn er nur kommt, der eisenhans, mit schnaufender schnauze und stählernem schritt, schnell hinein, das ziel, welches ziel, nur fort und hinweg und weit und schnell rattatam, rattatam, rattatam...

ich sitze im abteil, meinen koffer neben mir auf dem sitz, kopf und schulter daran gestützt. mir gegenüber ein herr mit müdem gesicht, bartlos unter breitkrempig behütetem haupt, daran ein paar haare wie silber, schwarzdurchwirkte brauen beschließen die furchige stirn, seine nase ist fein, lang und gerade, die wangen glatt, der mund groß, das kinn schön geschwungen. ich möchte ihn küssen, da greift er zur zigarre, fängt meinen blick, zögert doch dann die frage „darf ich?“ und da brennt sie auch schon und der blaue rauch mischt sich mit der farbe seiner haare sein atem schickt ihn zu mir, er wässert die augen und kitzelt die nase „hatschi“ nud da fliegt mir schon ein taschentuch entgegen, groß, weiß und von feinstem linnen. w steht da dunkelrot gestickt. das gesicht lächelt und ich schnäuze mich und mein gesicht lächelt zurück und sein mund bläst blaue wolken und ich möchte ihn immer noch küssen...

noblesse horizontale

ein callgirl erinnert sich

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danke DIR NOCH MEHR
beeindruckend und toll geschrieben.......
roman libbertz (Gast) - 23. Feb, 15:48

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