Sonntag, 18. Juni 2006

verloren

Seit jenem trüben novembertag war rebecca noch stiller, noch grauer und noch weniger geworden. mit mir sprach sie kaum noch, doch merkte ich bald, dass es ihr schwer ums herz war, wenn sie mich sah und so beschloss ich, nunmehr selbst das schweigen zu brechen und das auszusprechen, was über die lippen zu bringen ihr unmöglich war: von der besten freundin verraten. missbraucht! wie ein ding genommen, drapiert, geschoben und geschunden von einem eitlen, reichen gecken, dessen höchste lust es schien, als nackter eichelhäher in einer selbstgezimmerten gruft dem andenken seiner toten schwester zu huldigen, in dem er aufknospende junge klosterschülerinnen nach seinem gutdünken platzierte, um sich an ihren hilflosen zuckungen der unerfahrenheit zulaben. dass rebeccas zarte seele für derlei spiele nicht geartet war, hätte ich wissen müssen. und nur weil ich dieses spiel genoss, dieses wissen um die macht, allein mit meinem dasein männer dazu bringen zu können, sich mit ihrem gehabe der lächerlichkeit preiszugeben, nur wegen dieses kleinen, ersten triumphes war sie mir auf ewig verloren, mit ihrem körper, aber vor allem, mit ihrem herzen.

so schwor ich mir und auch ihr, dass die ereignisse jenes nachmittages für immer in meinem herzen verborgen bleiben sollten. kein wort würde meinen körper verlassen, niemand solle gelegenheit erhalten, den ersten stein auf mein herzblut zu werfen. herr im himmel, was nur, ja was hatte ich getan. ich wollte ihr meinen geldteil schenken, diesen judaslohn ohne vorsätzlichen verrat. sie wies ihn zurück, schlug mich ins gesicht, einmal, zweimal, dreimal, ich weiß nicht, wie oft, dann lief sie weinend in einen der waschräume, ich hörte es würgen und dann kotze sie und spuckte es aus, alles. den ekel, die scham und würgte und kotzte un spuckte und würgte alles empor, auf das nicht das kleinste bisschen seele mehr übrig bliebe.

dann kam sie heraus, griff sich das geld, nickte mir zu und ging. ging schweigend einfach hinaus. nie wieder sollte sie ein wort zu mir sprechen. und die tage vergingen, die uhren drehten sich, immer und immer wieder im kreis, von zwölf bis um neun, vom mitternacht bis zum wecken und meine lust schwand mit dem drehen der uhren.

advent. das kloster wimmelte von bizarrer geschäftigkeit. wir töpferten artige geschenke für brave verwandte. bald würde ich die eintönige betriebsamkeit der lehranstalt gegen die hysterische atmosphäre meines elternhauses tauschen müssen, sähe ihnen zu, den freudlosen angestellten, welche stets stumm und mit niedergeschlagenem blick durch die hohen duklen räume unseres hauses huschten, würde schweigen gegen schweigen tauschen. rebecca wühlte immer noch in meiner seele, ach bitte schenk mir einen blick, ein einziges freundliches wort, meine linke brust tät ich dir geben. doch alles, was rebecca tat, war schweigen. ihr schweigen betäubte meine ohren, meinen verstand. ich konnte nicht mehr essen, nicht lernen, nicht einmal das töpfern wollte mir noch freude machen. den regelmäßigen ausgang verbrachte ich allein. dabei hielt ich ausschau nach meinem eichelhäher, dem hahnrei mit dem kummerbund in der hoffnung auf ein wenig freude unten in seiner gruft. wie würde ich ihn krähen lassen, scharren und singen, immer wilder, immer höher flögen wir hinauf zu tausend sonnen. in seinen sarg würd ich ihn betten, zöge das magische schwert aus dem stein und dann sein geld aus der tasche. doch traf ich ihn nirgends.

weihnachten. dieses zauberwort für generationen. für mich bedeutete es trennung. von rebecca. auch wenn sie nicht sprach und auch nicht schaute so war ich ihr hier doch nahe. im schulzimmer, im schlafsaal, beim töpfern. und dann, eines abends, ich konnte nicht einschlafen, da hörte ich sie. rebecca, wie sie aufstand, sich aus dem schlafsaal schlich. ich ging ihr nach. ein fahler lichtschein brach sich in der knarrenden tür. ich hielt inne. kein laut. kein atmer. und dann: geräusche aus dem waschraum, würgen. schluchzen. wieder würgen. und leises stöhnen. ich drückte mich in eine ecke. still, nur still!

sie kam wieder heraus, mit wirren haaren, nassem gesicht, speichelfäden um den mund und diesem eigentümlichen phänomen des dunkelheitsleuchten in den augen. sie ging zum absatz der großen freitreppe, welche zum foyer im parterre führte. sie klammerte sich fest an das schmiedeeiserne geländer, für einen moment schien sie zu schwanken, dann tat sie einen schwung und stürzte kopfüber ins leere. kein schrei, kein rudern nur ein hohler dumpfer schlag und ihr schädel war geborsten.

ein schrilles lachen brach sich in der großen halle. es war mein eigenes.

noblesse horizontale

ein callgirl erinnert sich

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danke DIR NOCH MEHR
beeindruckend und toll geschrieben.......
roman libbertz (Gast) - 23. Feb, 15:48

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